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Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Fürsorge und Selbstverantwortung

Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Fürsorge und Selbstverantwortung

Es gibt sie, die Mitarbeiter, die Schlagzeilen wie diese machen:
„Buchhalter veruntreut 1,33 Millionen Euro“ heißt es am 20.01.2017 und „Sparkassen-Azubi zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt“ am 07.02.2017 in den Kieler Nachrichten.
Der Buchhalter entwendete seit 2006 offenbar neunmal Beträge zwischen 49.000 Euro und 283.000 Euro. Der Sparkassen-Azubi schöpfte ca. 88.000 Euro von den Konten solventer Kunden ab.
Diese Schlagzeilen zeigen lediglich die Spitze des Eisberges. Die Frage nach dem Warum folgt unmittelbar. Die Antworten fallen so individuell aus, wie jeder einzelne von uns ist. Denn Fehlverhalten beginnt schon viel früher, im Grunde genommen bereits immer dann, wenn sich dieses mulmige Gefühl – den meisten aus Kindertagen bekannt – einstellt. Dieses Gefühl, nicht wirklich zu fassen und doch so präsent, ist ein unfehlbarer Indikator, dass man sich in einem Grenzgebiet aufhält. Dieses Gebiet ist höchst individuell, vorgegeben durch die eigene Werteskala. Während der eine bereits ein schlechtes Gewissen bekommt, weil er während der Arbeitszeit in der Teeküche länger als nötig mit einem Kollegen privat gesprochen hat, tragen andere ohne jegliche Gefühlsregung das firmeneigene Druckerpapier nach Hause, weil das private Papier bereits vor zwei Wochen ausgegangen ist.

Doch warum gehen diejenigen unter uns, deren schlechtes Gewissen tendenziell etwas länger braucht bis es sich meldet, unnötige Risiken ein, setzen Existenz und Leumund aufs Spiel? Und was können Unternehmen tun, um die eigenen Mitarbeiter in ihrer Aufrichtigkeit und Integrität zu unterstützen, damit es erst gar nicht zu Bagatelldelikten oder gar unerwünschten Schlagzeilen kommt?

Zur ersten Frage gibt es in Bezug auf Wirtschaftsstraftäter diverse Untersuchungen und Studien, die Motive für das Fehlverhalten zu erklären versuchen. Ein hoch spannendes Thema, das Erklärungsansätze bietet. Doch die Ursache für die eigene individuelle Werteskala liegt in der Moralentwicklung von Kindesbeinen an. Diese vollzieht sich „bottom-up“ und lässt sich nicht „top-down“ lehren. Dieser Umstand stellt Arbeitgeber vor eine große Herausforderung und unterstreicht die Frage nach den Möglichkeiten von Unternehmen, ihre Mitarbeiter auf dem sogenannten „Pfad der Tugend“ zu halten.

In meinem letzten Artikel „Compliance durch Vertrauen“ ermunterte ich, Mitarbeitern zu vertrauen, wies aber auch darauf hin, dass ein gewisses Maß an Kontrolle unverzichtbar ist. Damit ein Mitarbeiter seine Kompetenzen nicht überschreitet und das ihm entgegengebrachte Vertrauen nicht missbraucht, bedarf es eines festgesteckten Handlungsrahmens. Im Großen und Ganzen sollte jedem Mitarbeiter klar sein, in welchem Rahmen seine Arbeit frei ausgeführt werden kann und in welchen Situationen Rücksprache erforderlich ist. Dieser Handlungsrahmen ist kein überdimensionierter Formalismus, sondern markiert das Spielfeld. Auch wirksame Kontrollen wie z.B. Wertgrenzen und das 4-Augen-Prinzip als Bestandteile eines Internen Kontrollsystems (IKS) sind eine gute Sache, gängige Praxis und sollten von den Angestellten nicht als Kompetenzbeschneidung empfunden werden. Solche Prozesskontrollen dienen den Mitarbeitern auch als Schutz, wie das folgende Beispiel zeigt:
In einem Schnellrestaurant, das im 3 Schichten-Betrieb geführt wird, gibt es die Anweisung, dass die Kasse bei Schichtwechsel gezählt und unterschrieben an den folgenden Schichtleiter übergeben wird. Eine lästige Aufgabe, wenn das Restaurant voll ist. Die Übergabe zwischen der 1. und 2. Schicht hat noch wie angewiesen funktioniert, zwischen der 2. und 3. Schicht leider nicht. Am Tagesende fehlten 2.400 Euro. Sowohl der Leiter sowie das gesamte Team der 1. Schicht waren von dem Vorwurf das Geld genommen zu haben, befreit. Dennoch bleibt ein fader Nachgeschmack der Enttäuschung. Denn einer wird es gewesen sein.

Doch bevor ein Handlungsrahmen festgelegt wird, sollte ein Unternehmen Klarheit über die eigenen Werte erlangen. Wofür steht das Unternehmen? Welche Erwartungen werden insbesondere in moralischer Hinsicht an die Mitarbeiter gestellt? Und wie möchte man von außen wahrgenommen werden? Die Antworten auf diese Fragen bilden die Leitplanken, die von der Unternehmensleitung vorgegeben werden. Im nächsten Schritt gilt es, hierüber aufzuklären und die Mitarbeiter mit ins Boot zu holen. Das Ergebnis findet sich oftmals in Form eines Unternehmensleitbildes und Unternehmenszielen. Leitbild und Ziele sollten jedoch mehr sein, als ein Menüpunkt auf der Firmen-Webseite. Mitarbeiter mit ins Boot zu holen meint, diese in die Ausgestaltung von Leitbild und Zielen mit einzubeziehen: Aus Betroffenen Beteiligte machen, ein Wir-Gefühl erzeugen. Erst dann ist der Weg für die Ausgestaltung eines Handlungsrahmens und weiterführende Programme wie ein Compliance Management System (CMS) bereitet, so dass diese die angepriesenen Früchte tragen - wohl wissend um die Grenzen: Erfolgreich ist ein CMS, wenn durch die Einführung und Umsetzung, systemisches Fehlverhalten ausgeschlossen werden kann, wenn sichergestellt ist, dass individuelles Fehlverhalten mit einer hohen Wahrscheinlichkeit entdeckt wird, und auf aufgedecktem Fehlverhalten Konsequenzen folgen: Sei es in Form von Prozessänderungen, Sanktionen, Änderung von Kontrollen. Einen 100% Schutz gibt es nicht.

Der Buchhalter und der Sparkassen-Azubi haben jeweils ihre Entscheidung getroffen. Das mulmige Gefühl blieb aus oder wurde ignoriert. Zumindest verfehlten diese Entscheidungen nicht nur die jeweiligen Unternehmenswerte, sondern auch geltendes Recht. Vielleicht hätten die jeweiligen Arbeitgeber durch interne Maßnahmen und Einbeziehung ihrer Mitarbeiter dem Fehlverhalten vorbeugen können. Der Buchhalter wurde zu zwei Jahren wegen Untreue verurteilt. Der Sparkassen-Azubi bekam zwei Jahre auf Bewährung wegen gewerbsmäßigen Computerbetrug und Urkundenfälschung.

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